Happy Chuseok! In Südkorea wurde letzte Woche Chuseok gefeiert. Ein traditionelles Fest, an dem sich die Familien zusammenfinden und alles irgendwie still steht. Ähnlich wie an Weihnachten schließen für ein paar Tage fast alle Geschäfte und man muss schauen, dass man nicht verhungert. ;-) Seoul ist wie leergefegt. In der Subway bekommt man erstaunlich leicht einen Sitzplatz, die unzähligen Fressbuden sind geschlossen und selbst die Austauschstudenten verteilen sich übers Land und genießen das verlängerte Wochenende. Statt wie so viele nach Busan zu fahren oder auf die Insel Jeju zu fliegen, habe ich mich für ein paar entspannte Tage in Seoul entschieden.
Eine Pause war auch bitter nötig. Nach ca. einem Monat „Koreanisch Intensiv Kurs“ merkt man am eigenen Leib die Unterschiede zwischen dem koreanischen Bildungssystem und meiner westlich geprägten Vorstellungen von Lehre. Statt Verschnaufpausen und Wiederholungen durch die sich das gelernte setzen kann, dominiert hier die Idee des pausenlosen Lernens. Möglichst viel Zeit soll man mit dem Unterrichtsmaterial verbringen um am Ende die Prüfung zu bestehen. Auf ein langfristiges Erinnern wird durch diese Lernmethoden scheinbar keine Rücksicht genommen. Auch an den deutschen Universitäten besteht besonders in den Grundlagenvorlesungen oft das Problem des „Bulimie Lernens“. Also lernen, nicht des lernen willens, sondern um das Wissen in einer Prüfung sprichwörtlich „auszukotzen“, wobei es anschließend direkt vergessen wird. Bei dem was ich hier im Sprachkurs selbst erlebe, gelesen habe und von koreanischen Studierenden berichtet bekomme, besteht diese Problematik in Korea jedoch in einer weitaus größeren Dimension.
Nach täglich vier Stunden Kurs, müssen anschließend Hausaufgaben bearbeitet werden die durchschnittlich zwei weitere Stunden beanspruchen. Fast tägliche Vokabeltests oder das freie Vortragen von selbstausgearbeiteten Texten, kommt dann noch hinzu. Zudem ist ein kontinuierliches wiederholen der Vokabeln aus der Vergangenheit notwendig. Die koreanischen Wörter lassen sich nicht wie so oft bei indogermanischen Sprachen aus dem lateinischen herleiten. Ich habe also das Gefühl als müsste ich mir für jede einzelne Vokabel eine Eselsbrücke zusammen basteln. Manchmal klappt das wunderbar. 공항 bedeutet z.B. Flughafen. In deutscher Lautsprache hört es sich ähnlich an wie „Kong Hang“. Dann stelle ich mir halt einfach einen herumwütenden King Kong im Hangar des Flughafens vor. Leider ist das für mein Empfinden viel zu oft nicht ganz so einfach bzw. Wörter ähneln sich zu sehr um Eselsbrücken aufrecht zu erhalten.
Realistisch oder vielleicht auch nur optimistisch gesehen, müsste ich somit täglich 8-10 Stunden Zeit für den Sprachkurs und seine Nachbereitung aufbringen. Und das nicht nur Wochentags. Jede Woche Montag beginnt mit einem „Quiz“, dass die zuletzt gelernte Kapitel schriftlich abfragt, wobei die Note einen Teil der Endzensur darstellt. Diese Rechnung geht natürlich nicht auf. Neben dem normalen Universitätsveranstaltungen, kommen neben dem eigene Alltag kommt noch das Sportangebot der Uni und die eigene Freizeitgestaltung mit hinzu. Insgesamt eine Frustfalle für mich bei der ich lernen musste, meine eigenen Erwartungen extrem zurück zu schrauben.
Wie mir mittlerweile bewusst ist, soll der Koreanisch Intensiv Kurs zur Qualifikation auf das zweite von insgesamt sechs Sprach-Levels vorbereiten. Ähnlich also wie beim „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen“ mit den Niveaustufen A1 bis C2. Wie viele andere meiner Kommoliton_Innen bin ich mit einer gänzlich anderen Erwartungshaltung an den Kurs herangegangen. Mangels weitere Informationen zum Kurs, habe ich das Wort „Intensiv“ eher als eine intensive Vorbereitung auf den koreanischen Alltag interpretiert. Nach der Milch im Laden fragen oder einer Wegbeschreibung folgen, waren und sind meine Ziele. Nun lerne ich Zeitformen die ich wohl nie im Alltag verwenden werde, kann dahingegen aber nicht einmal vernünftig und frei einen Satz formulieren, da ich schon wieder die Vokabeln aus der letzten Woche vergessen habe. Hinkt man einmal hinterher, verliert man den Anschluss und dieser ist uneinholbar. Der Zeitplan des Lehrpersonals ist straff, eine Reduzierung des Tempos daher nicht möglich und nicht vorgesehen. Auf den einzelnen kann also keine Rücksicht genommen werden. Unsere Lehrerin ist wirklich nett und bemüht sich sehr. Dennoch bekommt man die geballte Ladung der koreanischen Kultur, Philosophie und Unterrichtsmoral zu spüren. Wer es nicht schafft, fällt halt eben durch und muss es erneut versuchen. Und das werden sehr viele sein. Wenn nicht sogar alle die nicht mit Vorerfahrungen in der koreanischen Sprache den Kurs begonnen haben. Selbst krank sein wird quasi wie eine eigene Verfehlung angesehen. Kann man zu einer Sitzung oder Prüfung wegen Krankheit nicht erscheinen, erhält man Null Punkte und hat keine Chance die Prüfung zu wiederholen. Auch Platz für ein Hinterfragen oder Kritik am System sind nicht vorgesehen und werden ziemlich gekonnt in eigenes Unvermögen umgewälzt. Auf meinen Frust über diese Missstände wurde mir für meinen Geschmack ziemlich provokativ die Frage entgegnet: „Wie viele Stunden hast du denn gestern nach dem Unterricht gelernt?“. Man fühlt sich wenig bis gar nicht verstanden und muss scheinbar mit der Situation leben. Bis auf Durchhalteparolen wird einem nix der Situation zuträgliches entgegnet. Ein Abbrechen des Kurses kommt nicht in Frage. Wie auch? Wer hinschmeißt muss eine Strafe von 1,5 Mio KRW (ca 1200€) zahlen.
Ein weiterer Kritikpunkt sind für mich die zu schwachen Englischkenntnisse des Lehrpersonals im Intensivkurs. Koreanische Grammatik auf koreanisch gepaart mit Zeichensprache erklärt zu bekommen, erhöht nicht gerade die Chance alles auf Anhieb zu verstehen und verzögert den Lernprozess. Natürlich profitiert man sicher auch davon direkt die koreanische Lautsprache zu hören. Wenn man dann aber Fragen hat und die Lehrerin einen nicht versteht, wird es schwierig. Besonders wenn dann noch das so typische koreanische „Bejahen“ hinzukommt. Um eigene Schwächen nicht preiszugeben, geben Koreaner sehr ungern zu wenn Sie etwas nicht leisten können oder eben nicht verstehen. Wenn man das Lehrpersonal jedoch fragt ob man mit seiner eigenen Annahme richtig liegt und dies durch ein einfaches „Ja“, trotz Ahnungslosigkeit was ich eigentlich gefragt habe, fälschlicherweise bestätigt wird, nimmt die Lehre für mich eine groteske Form an. Dieses Beispiel stellt zum Glück nur eine Ausnahme dar, ist aber für mich mit Sinnbild für eine von viele anderen Herangehensweisen die in Korea herrschen und ich hier kennen lerne.
Meine Kritik ist natürlich sehr subjektiv und geprägt von meinen Erfahrungen im deutschen Bildungssystem. Zudem natürlich selektiv, da ich nur den Sprachkurs und eine weitere Veranstaltung belege. Meinen Seminar am Dienstag habe ich abgewählt, weil es mir einfach zu viel wurde und ich im nächsten Semester noch genügend Zeit haben werde die Veranstaltung nachzuholen. Insgesamt zeichnet sich aber nach dem was ich so mitbekomme, ein für mein Empfinden ziemlich bedrückendes Leistungsumfeld ab. Angefangen in der Schule wo der Druck besonders groß ist erfolgreich zu sein, um später eine der besten Universitäten im Land besuchen zu können. Das Studium wird dann durch seine etwas freiere Zeiteinteilung fast zu ein paar entspannten Jahren. Man hört aber immer wieder, dass nur studiert wird um einen Titel zu erlangen. Die Fächerwahl scheint oftmals willkürlich zustande gekommen zu sein und ist nur Mittel zum Zweck. Der Beruf hat später meist nicht mehr viel mit der Ausbildung zutun. Es wird auf den Namen der Universität und die Noten geschaut. Der Druck an der Universität ist entsprechend hoch. Nur die besten 10% der Vorlesung bzw. des Kurses dürfen mit der Topnote bewertet werden. Allzu oft wurde in der Vergangenheit wohl mit der Vergabe von Bestnoten, die Durchschnittsnoten der eigenen Universität durch die Professoren angehoben. So wurde eine höhere Position im Universitätsranking angepeilt und suggeriert die besten Studierenden an der eigenen Hochschule zu haben. Durch die Einführung der 10%-Klausel wurde diesem Missstand entgegen gewirkt. Zum Leid von wirklich guten Studierenden, die teilweise trotz gleichwertiger Leistungen keine Bestnote erhalten können. Das System fördert zudem das Konkurrenzdenken zwischen den Studierenden. Es kommt einem so vor, als gehe es nicht darum gemeinsam ein Ziel zu erreichen, sondern besonders starke Einzelkämpfer zu entwickeln. Dabei bleibt das persönliche Glück oftmals auf der Strecke. Einen wirklich Lesenswerten Artikel hat meine Kommoliton_In Antonia dazu verfasst.
Auch der Arbeitsalltag scheint gespickt mit demoralisierenden Verhältnissen und Missständen. Brandeins hat dazu in seiner August Ausgabe über Hierarchien, Überstunden und geschäftliche Besäufnissen geschrieben. Ein wirklich lesenswerter Artikel, der viele meiner hier gemachten Eindrücke widerspiegelt und von koreanischen Komiliton_Innen kommuniziert wird.
Last but not Least, zeigt auch dieses Video vieles auf, in welcher Weise Druck auf Schüler und die Menschen in der koreanischen Gesellschaft ausgeübt wird. Neben Leistung spielt auch das Erscheinungsbild in Korea eine entscheidende Rolle, dem oft mit Schönheitsoperationen entgegen gewirkt wird. Ebenfalls empfehlenswert, wenn auch aus meiner Sicht sehr einseitig.
Nach gut einem Monat ohne Blogeintrag mag dieser kritische Beitrag danach klingen als wenn es mir hier nicht gut geht. Dennoch kann ich euch natürlich sagen, dass ich hier absolut glücklich bin, eine Menge Spaß habe und meine Wahl nach Seoul zu gehen in keinster Weise bereue. :-) Mir war es nur ein großes Anliegen die wenige Zeit die ich zum bloggen habe, ein mir wirklich wichtiges Thema anzusprechen. Neben all der Kritik die ich habe, macht mir der Kurs natürlich auch einen riesen Spaß und gehört zum Alltag dazu bzw. er gestaltet ihn. Es macht unheimlich viel Spaß mit den ganzen Leuten aus den verschiedenen Nationen im Kurs zu sitzen, sie kennen zu lernen und gemeinsam eine schwierige Sprache zu lernen. Wenn man neue Kontakte mit Koreaner_Innen knüpft und ihnen die gelernten Vokabeln oder Sätze die man schon beherrsche präsentiert, sind diese immer hellauf begeistert und bescheinigen einem ein unheimlich gutes koreanisch. :D Das macht dann natürlich schon Laune. Insgesamt nehme ich natürlich auch für mich selbst vieles mit. Allein die Tatsache nun ein System kennen zu lernen, welches für mich sehr anstrengend erscheint ist lehrreich für mich. Ich musste mir erst klarmachen, was erreichbar ist. Nun sehe ich das ganze etwas entspannter und werde das für mich mögliche versuchen, um möglichst viel vom Sprachkurs mitzunehmen.
Um nicht ganz ohne „Abenteuer“ in diesem Eintrag zu bleiben darf ich euch noch von meinem ersten mal Tandem fahren berichten. Niklas und ich haben bei anhaltenden sommerlichen Temperaturen natürlich auch die freien Tage an Chuseok genutzt um ein wenig am Hangang (Han River) ein paar Runden zu drehen. Die Drahtesel kann man dort für ein paar Won stundenweise Mieten und auf den dortigen Fahrradwegen quälen. Der Fluss führt quer durch Seoul und das Land und ist mit seinen knapp 500km der zweitlängste seiner Zunft in Südkorea. Ganz umrundet haben wir ihn dann nicht. Für ein paar amateurhafte Flirtversuche hat die Zeit aber dennoch gereicht ;-)